Matthias Böttger, Stefan Carsten, Ludwig Engel
Mit Beiträgen von Thomas Auer, Armen Avanessian, Stefan Bergheim, Matthijs Bouw, Armin Linke, Erik Swyngedouw, u.a.
Graphische Gestaltung von Onlab
Lars Müller Publishers
Wie werden sich gesellschaftliche Verhältnisse auf die gebaute Umwelt in Deutschland auswirken? Unter welchen Voraussetzungen verändern sich Städte und Regionen? Die Publikation Spekulationen Transformationen widmet sich den räumlichen Transformationen die Deutschland bevorstehen, und spekuliert über ihre baukulturellen Konsequenzen: Wie lebt es sich in einer Stadt, in der mit Watt und nicht mehr mit Euro bezahlt wird? Was passiert, wenn Straßen nicht mehr von Autos benutzt werden? Wie lebt es sich in Maintropolis? Was sind die Konsequenzen, wenn Deutschland seine Wirtschaftskraft am Wohlbefinden seiner Bürger misst?
Spekulationen Transformationen basiert auf dem Forschungsprojekt „Baukulturatlas Deutschland 2030/2050“, das vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) und dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) 2011 beauftragt wurde. Im Vordergrund stand „in alternativen Zukünften zu denken“ (Markus Eltges vom BBSR). Das Buch begreift Baukultur primär als gelebte Umwelt und behandelt nur in zweiter Instanz die sichtbaren Oberflächen, die Architekturen, die Infrastrukturen. Es zeigt auf, was Auslöser und Treiber räumlicher Entwicklungen sein können und welche gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse zu einer spezifischen gebauten Umwelt führen. Dabei geht es immer um gegenwärtig denkbare Zukünfte, d.h. mögliche zukünftige Entwicklungsprozesse, die bereits in der Gegenwart angelegt sind, sich jedoch höchst unterschiedlich entwickeln könnten.
Für die Gestaltung von Städten und Regionen braucht es zeitliche, räumliche und methodische Perspektiven und Blickwinkel. Erst in ihrer Vielfalt und Kombination bilden sie die Komplexität von Städten und Regionen ab. Daran beteiligt sind lokale politische Entscheidungsträger, Planer und Architekten genauso wie die Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen sowie die Verwaltung und lokale Institutionen.
Spekulationen Transformationen nimmt die gelebte Umwelt aus vier unterschiedlichen Perspektiven in Augenschein:
ANALYSE beleuchtet Deutschland und den Status-Quo der Baukultur in Form von Interviews, Essays, Statements und Karten. So stellt der Politik- und Kulturwissenschaftler Claus Leggewie die These auf: „Für die Zukunft brauchen wir eine echte Willkommenskultur für Migranten. Städte können von Einwanderern profitieren und benötigen finanzielle Ressourcen, um für eine weltoffene Stadt- und Raumentwicklung entsprechende Maßnahmen einleiten beziehungsweise Initiativen der Bürgergesellschaft stützen zu können.“ Der Technikphilosoph Armin Grunwald fasst den Wandel zusammen, wenn er sagt: „Die Energiewende ist eine Transformation der Gesellschaft und nicht einfach der Ersatz von alter Technik durch neue.“ Diese Annäherung an die Gegenwart und die erkennbaren Herausforderungen und deren Analyse wird anhand einer Vielzahl an Karten weitergeführt, in denen Kombinationen wie ‚Pendlerdistanzen und Kaufkraft’, ‚Wahlbeteiligung und Hartz-IV Quote’ oder ‚Menschen mit Migrationshintergrund und Angebotsmieten’ weiteren Aufschluss über die heutige Situation geben.
SPEKULATIONEN beschreibt drei sehr unterschiedliche, auf Zukunftswerkstätten basierende Szenarien, wie sich Deutschland bis ins Jahr 2050 verändern könnte. Die Narrationen behandeln Themenfeldern wie Stadt und Raum, Gesellschaft und Demographie, Wirtschaft und Politik oder Technologie, Energie und Mobilität. Im Einzelnen lautet die Szenarien Netzland, Integralland und Wattland.
In Netzland leben im Jahr 2050 65 Mio. Einwohner, die Grenzen sind geschlossen und es ist eine Energie, Rohstoffe, Lebensmittel und Wasser exportierende Nation. Eine Superstruktur verbindet Groß- und Mittelstädte und bündelt neben der Energie- und Wasserversorgung auch Kommunikation, Handel und Verkehr.
Integralland ist mit seinen 85 Mio. Menschen ein ökologisch-kommunitaristisches Einwanderungsland geworden, das dem größten Teil seiner fast ausschließlich in Städten lebenden Bevölkerung Zugang zu hochwertigen Bildungsangeboten in einer stabilen und durch bürgerschaftliches Engagement geprägten Demokratie bietet.
In Wattland ist Deutschland mit seinen 75 Mio. Einwohnern eine Dienstleistungsökonomie und Wissensgesellschaft mit hohem Energiebedarf. Wissen ist global und frei zugänglich in Datenbanken verfügbar, Algorithmen sind Macht. Die zentrale Triebkraft der Gesellschaft ist nicht mehr der Euro, sondern das Watt: die Energie als ein stets knappes Gut.
Davon abgeleitet ist die Bedeutung und Einflussnahme dieser Zukunftswelten für beispielhafte Orte wie Offenbach, die Metropolregion Hamburg, Kitzscher, Ludwigsburg, der Saale-Orla-Kreis und Völklingen analysiert worden.
REFLEXIONEN spiegeln die Vorgehensweise des Forschungsprojektes aus einer internationalen Außenperspektive: Reflexionen in Form eines Essays von Armen Avanessian, dem Baukulturkasten von Matthijs Bouw, und einem kritischen Aufsatz von Erik Swyngedouw.
TRANSFORMATIONEN beschreibt die drei Paradigmen Alternative Wohlstandsmodelle, erneuerbare Energiewelten und dezentrale Produktionsweisen. Diese in der Gegenwart angelegten Entwicklungen kristallisierten sich als zentrale Impulse für die gesellschaftlichen Transformationen heraus: Lebensqualität, Ressourcen und Wertschöpfung.Begleitet werden sie von Fotografien aus dem Archiv von Armin Linke.
Spekulationen Transformationen trägt so zu einem Diskurs bei, dessen Brisanz Stefan Bergheim in seinem Essay andeutet:„Die große Frage für die Baukultur ist also, ob sich die gesellschaftliche Erzählung wandeln wird – entweder durch einen breiten Diskurs oder erst nach einer noch tieferen wirtschaftliche Krise in Europa.“
Spekulationen Transformationen
Überlegungen zur Zukunft von Deutschlands Städten und Regionen.
Matthias Böttger, Stefan Carsten, Ludwig Engel