Geropolis 2030

Urbane Kulturen und Architekturen des Alterns. Forschungs- und Gestaltungsprojekt 2005

 

Geropolis 2030 ist ein Projekt der Stiftung Bauhaus Dessau, das unter Leitung von Elisabeth Kremer und in Zusammenarbeit mit Matthias Böttger, Matthias Hollwich, Marie Neumüllers und Rainer Weisbach entwickelt wurde.

Der wachsende Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung stellt die Industrieländer vor bislang nicht gekannte Probleme und fordert zu einem veränderten Umgang mit dem Altern auf. Die standardisierte Normalbiografie des industriellen Zeitalters – Ausbildung, Erwerbsarbeit und Ruhestand – und ihre Räume verlieren mehr und mehr an Bedeutung, der Generationenvertrag wird neu ausgehandelt. Die Lebensläufe und Altersgrenzen werden verschiedenartiger und flexibler. Nicht mehr der gesellschaftliche Rückzug und Lebensabend oder der aktive Freizeitrentner sind die Leitbilder des Alterns. Altern wird zu einer eigenständigen Lebensphase mit neuen Tätigkeitsmodellen, vielfältigen Lebensstilen, gegenseitiger Hilfe und Selbsthilfe.

Altern ist ein Prozess, der die Entwicklung der Städte zunehmend bestimmen wird. Städtebau, Architektur und Design können hierzu Wesentliches beitragen. Das im Jahr 2005 begonnene experimentelle Gestaltungs- und Forschungsprojekt „Kulturen und Architekturen des Alterns“ hat daher zum Ziel, jenseits von altersgerechtem Wohnen, jenseits negativer Stereotype des Alterns Parameter der Gestaltung zu entwickeln, die die kulturelle Neuorientierung des Alterns unterstützen. Dabei will das Projekt städtebauliche Rahmen für urbane Lebenswelten des Alterns entwerfen, die offensiv Modernität, Attraktivität und öffentliche Sichtbarkeit auch für das Altern reklamieren.

In der ersten Projektphase wurde „Geropolis 2030“, das Zukunftsmodell einer alternden Stadt entworfen. Dafür wurden auf Quartiersebene städtebauliche Szenarien entwickelt, die zu einer Umwertung und kulturellen Anerkennung des Alterns beitragen und eine selbstständige und selbstbestimmte Lebensführung bis ins hohe Alter hinein fördern sollen. Entstanden sind sechs visionäre Entwürfe, in denen jeweils ein Stadtteil der Idealstadt Geropolis in Abstraktion abgestimmt auf ein Lebensstil herausgearbeitet wurde:  „Hotel Urbanismus“, „Liberale Landschaften“, „Erfahrungs Campus“, „Klubhaus und suburbane Biotope“, „Dorf in der Stadt“ und „Leisure Mall“ konzentrieren sich auf spezifische Aspekte des Alterns verschiedener Lebensstile in der Wissens- und Informationsgesellschaft.  Durch eine Verknüpfung und Überlappung konnte eine realitätsnahe Komplexität mit konkreten Handlungsansätzen entwickelt werden. Ein Infrastruktur und Informationssystem, das sich wie ein Rhizome über der Stadt ausbreitet, verknüpft die Stadtteile und ihre Lebensstile. Überfluss und Mangel an Arbeitskraft und Waren, an Wissen und Pflegebedürftigkeit bilden einen Markt. Hierbei entstehen  Win-Win-Situationen, die Verbindungen der Generationen und Lebensstile stärken: 

Stiftung Bauhaus Dessau

Zeitschrift für Geropolis
Projektteam: Elisabeth Kremer (verantwortlich), Matthias Böttger, Matthias Hollwich, Marie Neumüllers, Rainer Weisbach

    

 

Hotel Urbanismus
Die BewohnerInnen: Postmoderne Performer. Sie kommen aus der New Economy- Generation mit einem hohen Anteil an selbständigen Fähigkeiten. Sie besitzen ein hohes Bildungsniveau und gehobene Einkommen. Ihr global vernetzter Lebensstil ist geprägt von der Orientierung an Leistung und Risiko, persönlicher Selbstverwirklichung und „Spaß haben im Leben“. 

Die Innenhöfe, Dach- und Erdgeschoße ganzer Blockrandbebauungen werden zusammengefasst und zu Dienstleistungsräumen entwickelt. Serviceleistungen und Räume für spezielle Nutzung werden in verschieden Gebäuden angeboten und können gegen Beiträge genutzt werden. Die eigene Wohnung wird ähnlich wie in einem Hotel mit einem Roomservice versorgt der nach belieben erweitert werden kann. In den Höfen entstehen neue Programmpunkte wie Spa, Wellness, Servicecenter, Konferenzzentren und Botanische Gärten. Die Blockrandstruktur wird introvertiert umorganisiert, intern oder mit Laubengängen verbunden und über die Erdgeschoßzone an die Straße angeschlossen.

Win-Win Situation der Lebensstile
Das gepflegte Dienstleistungsangebot zieht auch Junge und Alte aus anderen Quartieren an, als Konsumenten und Arbeitnehmer. In den Alumni- und Coachingveranstaltungen werden Wissen, Erfahrung und Kontakte gehandelt, die zu einer weiteren Vernetzung führen.

 

 

 

Dorf in der Stadt
Die BewohnerInnen: Traditionsverwurzelte ostdeutsche Facharbeiterinnen. Sie besitzen einen Hauptschulabschluss und eine Lehre. Sie verfügen über mittlere und kleine Einkommen. Ihr geregelter Lebensstil orientiert sich an Achtung und Stolz auf das eigene Können, Familiensinn, Bescheidenheit und Ordnungsliebe, Geselligkeit in Vereinen und Nachbarschaft und gegenseitiger ehrenamtlicher Hilfe.

Mit dem Dorf in der Stadt werden in das großdimensionierte, anonym erscheinende Quartier kleinteilige Strukturen und Programme mit neuem Sozialisierungspotenzial eingeführt. Das Dorf in der Stadt entsteht durch Übergabe der öffentlichen Freiflächen zur verantwortungsvollen Bewirtschaftung an die Bewohner als Garten, zur Tierhaltung und Freizeitnutzung. Darüber hinaus werden leerstehende Wohngebäude zu Einfamilienhaussiedlungen auf der Etage umgebaut und vertikal an Erschließungswegen der Gebäude nachbarschaftlichen Treffpunkte und Marktsituationen eingeschoben. 

Win-Win Situation der Lebensstile
Die Angebote aus den Garten- und Marktanlagen, aus den lokalen Produktionen und angebotenen Dienstleistungen werden auch von den Bewohnern der anderen Quartiere genutzt und es kommt zu einem fruchtbaren Austausch. Für das Erholungsbedürfnis und als besondere Urlaubsangebote werden die Gartenanlagen mit Unterkunft vermietet.

 

 

 

Leisure Mall
BewohnerInnen: Konsummaterialisten. Es sind die sozial Benachteiligten und einkommensschwache Gruppen. Sie haben vorrangig einen Hauptschulabschluss, sind ungelernte Arbeiter oder Facharbeiterinnen mit niedrigem Einkommen und sind somit gezwungen sich auch im Alter etwas dazuzuverdienen. Ihr gegenwartsausgerichtete Lebensstil orientiert sich an dem der Mittelschichten und ist geprägt vom Streben prestigeträchtige und modische Dinge zu besitzen. 

Die Leisure Mall ist Teil der mit Programmen durchzogenen Außenraumgestaltung der Großsiedlung. Sie stellt jedem Bewohner, der sich darum bewirbt, eine Parzelle für den privaten Ausbau zur Verfügung. Im Gegenzug verpflichtet sich der Benutzer für die Öffentlichkeit Initiativen zu entwickeln und ein freizeit- oder wellnessorientiertes Programmangebot anzubieten. Die Programme der „Initiativen“-Mall werden in landschaftsgestaltenden Inseln organisiert und unter Nutzung der existierenden Infrastruktur an die Gebäude, an deren Haupterschließungswege angekoppelt. 

Win-Win Situation der Lebensstile
Die Leisure Mall hat das Potential, durch ihre programmatische und räumliche Einzigartigkeit zum Attraktor für unterschiedliche Lebensstile zu werden.Die von besser verdienenden Bürgern finanzierte Pop-up Komponente, mit dem Einbringen von Bildungsangeboten und die Pflegebedürftigkeit finanziell schlechter gestellter Bevölkerungsgruppen bietet sich für Ehrenamtstätigkeiten anderer Lebensstilgruppen an. 

 

 

 

Erfahrungs Campus
BewohnerInnen: Die Etablierten. Sie haben ein hohes Bildungsniveau und ihre Einkommen sind hoch, da sie in führende und leitende Positionen von Wirtschaft, Politik und Verwaltung innehatten. Ihr Lebensstil wird geleitet von Machbarkeitsdenken, Erfolgsorientierung, Fortschrittsoptimismus und zugleich von zivilem Engagement. 

Mit der Einführung eines Campus in das Wohngebiet der Etablierten entsteht eine offene Struktur zur Förderung von Netzwerken, von Kreativität und Ideen in Wissenschaft, Kunst, Politik, Kultur sowie von neuen Geschäftsmodellen. Indem die älteren Etablierten ihr Wissen und Erfahrung, ihre Netzwerke, Teamfähigkeit sowie Teile ihres privaten Grundstücke ehrenamtlich zur Verfügung stellen nehmen sie möglichst lange am gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben aktiv teil. Ihre zur Verfügung gestellten Ressourcen werden mit der Dynamik, Phantasie und Risikofreundlichkeit jüngerer Experten zusammengebracht. 

Win-Win Situation der Lebensstile
Potenziale, Motivationen aber auch Defizite unterschiedlicher Altersgruppen und Lebensstile finden hier einen Ort des intergenerativen und kreativen Austausches, welches ein hochdynamischen Denk- und Entwicklungspool entstehen lässt.

 

 

 

Liberale Landschaft
BewohnerInnen: Postmaterielle. Im Quartier der Liberalen Landschaft wohnen bevorzugt die 68er und Nach- 68er Generation. Sie sind inzwischen qualifizierte und leitende Angestellte und Beamte, haben eine hohe Bildung und ein gehobenes Einkommen. In ihrer ganzheitlichen Lebensführung pflegen sie einen gesundheits- und kulturbewussten Lebensstil und orientieren sie sich an einer Verantwortungsethik. 

In das Quartier wird eine liberale Landschaft, ein Ermöglichungsraum, der die Ambitionen, Ideen und Aktivitäten der Bewohner unterstützt, eingeführt. Die in Eigenregie entstandenen, selbst verwalteten Wohnformen bestehen aus individuellem Wohnen in den Obergeschossen und gemeinschaftlich für Bildung, Wellness und Freizeit hergerichteter Räume im Erdgeschoss mit Erweiterungsmöglichkeiten in den Hof. Es werden Hypernatur-Elemente in den Stadtraum implantiert, die mit einer unterstützenden, notwendigen Infrastruktur zu einer eigenen neuen Ästhetik verschmelzen und zugleich die Natursehnsüchte der Bewohner befriedigen. Es sind inselartige Orte individueller Entfaltung und Pflege. 

Win-Win Situation der Lebensstile
Ein starkes ehrenamtliches Engagement kommt den sozial Schwächeren anderer Stadtteile zugute. Über den alltäglichen Servicebedarf werden kommerzielle Leistungen an die Bewohner der anderen Quartiere vergeben. Tauschzentralen bieten darüber hinaus Vermittlung von Bildung und Qualifikation gegen Unterstützung, Pflege oder auch Hauswirtschaftsdienste.

 

 

 

Suburbanes Biotop
BewohnerInnen: Moderne Mitte. Sie sind einfache und mittlere Angestellte und Beamte, Facharbeiter, kleine Selbständige. Sie haben mittlere Bildungsabschlüsse und mittlere Einkommen. Die moderne Mitte ist leistungsorientiert, strebt nach einer Teilhabe am Wohlstand, gleichwohl räumen sie familiäre Interessen und Freizeit einen ebenso hohen Stellenwert ein. 

Über die Schaffung zusätzlichen Komforts und Teilöffnung von Privateigentum werden neue Sozialisationspunkte entwickelt, zur Förderung nachbarschaftlicher Beziehungen, zur Anregung ehrenamtlicher Betätigung und zur Stärkung des suburbanen Wohnorts entgegen einer Anonymisierung. Mit der Einführung eines Klubhauses entsteht ein Kommunikationszentrum mit Kultur-, Freizeit- und Bildungsangeboten und Basis für soziale Organisationsstrukturen wie etwa Ehrenamt, Selbst- und Nachbarschaftshilfe.

Win-Win Situation der Lebensstile
Durch das Engagement in Ehrenämtern, wie etwa die Lehrprogramme in den Siedlungen und Betreuung finanziell schlechter gestellten Gruppen hat die Lifestyle Gruppe der Bürgerlichen Mitte viel Potenzial sich in Geropolis  zu engagieren. Im Sinne der eigenen Erholungsbedürfnisse sind Programme des Hotelurbanismus und der Liberalen Landschaft interessant.

 

 

 

 

Zauberberg
Der Zauberberg stellt eine neue Wohntypologie dar, die sich speziell an mögliche Altersaussiedler richtet, die auf der Suche nach Natur, exotischer Umgebung, neuen sozialen Kontexten sowie gehobene und finanzierbare Dienstleistungsstandards sind. Der Zauberberg bietet nicht allein für die ältere Generation sondern auch für unterschiedliche Altersgruppen einen alternativen Wohnort. Die strategische Aufweitung des Programms, die Liberalisierung der Benutzergruppen und die Reorganisation der Servicekomponenten macht den Zauberberg zu einem Pionier-Lifestyle Zentrum, in dem die Potentiale des Alters ausgelebt werden. Neuen Formen der Dienstleistung, Zusammenarbeit, des Networking, Shoppings, Relaxing und der Spiritualität werden durch alle denkbaren Arten von unterstützenden zukünftigen Infrastrukturen unterstützt, da sie im Zauberberg effizient implementierbar sind. Strategisch positioniert im Innenstadtbereich von Geropolis ist der Zauberberg Bestandteil der gesamtstädtischen Infrastruktur und gleichzeitig durch seine Form, Höhe und Anmutung künstliche Natur. 

Win-Win Situation der Lebensstile
Durch die programmatische und räumliche Attraktivität wird der Zauberberg zu einem Besucherzentrum. Durch das Interesse wird die soziale Integration in die Gesamtgesellschaft weiter vorangetrieben.

 

 

 

 

Geropolisband
Die verschiedenen Quartiere der Idealstadt Geropolis werden durch eine Vernetzungsstruktur miteinander verbindet, die durch das Geropolisband symbolisiert wird. Es verknüpft die Innovationen und Dienstleistungsangebote miteinander und soll den vielfältigen Austausch von Informationen, waren und Services zwischen den verschiedenen Gruppen, seien es jung und alt, seien es verschiedene Lebensstile und Lebensformen oder verschiedene arten des Wirtschaftens verdeutlichen. Nicht nur ältere, sondern alle profitieren von einer Modernisierung der Alternskultur in Geropolis.