Com&Com: Making Identities
Kurator: Matthias Böttger
[erfinden] - sich etwas ausdenken, finden, flunkern, in die Welt setzen, entdecken, entwickeln, aushecken, etwas Altes wieder finden, etwas Neues erfinden, etwas Vermisstes oder Unerwartetes finden. „Finden und Erfinden sind oft nicht voneinander zu trennen.“ (Hermann Burger). Manchmal wird etwas zielgerichtet erfunden, um ein Problem zu lösen, manchmal durch puren Zufall. Oft entdeckt man erst nach der Erfindung, was diese außer dem gewünschten Zweck mit sich bringt, welche Gefahren sie birgt, und hinterfragt so den Sinn von Fortschritt. Erfindungen sind häufig Entdeckungen, manchmal aber auch frei erfunden. In beiden Fällen lösen sie oft neue Erzählungen, neue Geschichten aus. Es ist ein von Positivismus und Hoffnung getragenes Unterfangen. Scheinbar Unmögliches wird möglich, neue Orte werden zugänglich gemacht und das Leben lebenswerter. Der kleine Tiger geht in den Wald um Pilze zu finden, nicht zu suchen. Wenn eine geeignete Stelle gefunden ist, entstehen Siedlungen und Städte, entwickeln ihre Tradition und Erzählung. Manchmal hilft das Erfinden neuer Legenden, um die Identifikation zu stärken. (raumtaktik)
Com&Com: Making Identities
Die Auseinandersetzung mit dem Prozess des Machens, Wachsens und Werdens von Identitäten ist eines der Hauptthemen des multidisziplinär arbeitenden Schweizer Künstlerduos Com&Com. Anhand zweier Werkkomplexe – dem vielschichtigen Public-Art-Projekt „Mocmoc“ sowie dem Skulptur- und Organic-Art-Zyklus „Baum“– zeigt „Making Identities“ diese Thematik exemplarisch auf.
Die pokémonartige Kreatur „Mocmoc“ entstand im Rahmen eines Kunst-am-Bau-Wettbewerbs für den Bahnhofsvorplatz der Schweizer Bodenseegemeinde Romanshorn. Auf Basis einer erfundenen und als historisches Dokument ins Gemeindearchiv geschmuggelten Legende, nach der „Mocmoc“ das Städtchen einst mit seinem Horn vor einer Feuersbrunst gerettet haben soll, realisierten sie nicht nur ein Denkmal am Bahnhofsplatz samt dazugehörigem Kinderfest. Sie entwickelten zudem ein umfangreiches Marketing- und Merchandising-Angebot, das von T-Shirts über Hörspiel-CDs bis hin zu Kunstmultiples und Homepage reichte.
„Mocmoc“ avancierte schnell zum Liebling der Kinder, die über verschiedene Aktionen gezielt angesprochen wurden, entzweite jedoch, nachdem die Legende als freie Erfindung aufgedeckt war, die erwachsene Bevölkerung. Allein im ersten Halbjahr nach Aufdeckung des Legendenkonstrukts erschienen weit über 300 Medienberichte, schließlich musste gar eine Volksabstimmung über den weiteren Verbleib des Denkmals entscheiden.
Ist „Mocmoc“ eines der komplexen Kommunikationsprojekte von Com&Com, die mittels gezielter Partizipations-, Provokations- und Aufmerksamkeitsstrategien über den Kunstkontext hinaus die gesamte Gesellschaft als Dialogpartner einbinden, so stammt der Zyklus „Baum“ aus der jüngsten, postironischen Phase des Duos. Entsprechend dem Titel der Anfang 2010 in Biel gezeigten Retrospektive „La réalité dépasse la fiction“ feiert der „Baum“ die schlichte Schönheit der alltäglichen Natur. In seiner ersten Ausführung in Biel schwebte ein säuberlich ausgegrabener Apfelbaum im sanft gedämpften Licht eines leeren „White Cube“. Für Innsbruck ist eine komplett neue Inszenierung dieses „Natural Readymade“ geplant: ein junger Baum wird temporär ins Museum gepflanzt und nach der Ausstellung wieder der Natur übergeben.
com&com
johannes m. hedinger geb. 1971 in St. Gallen; Studium der Kunst an der ZHDK Zürich und an der UCLA, Los Angeles; Studium der Kunstgeschichte, Cultural Studies, Filmwissenschaft und Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Zürich und an der Humboldt Universität Berlin; seit 2006 Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste
marcus gossolt geb. 1969 in St. Gallen; Studium der Architektur und Kunst an der HGK Basel; Studium der Kunst- und Medienwissenschaften an der KHM Köln; seit 2005 Projektagentur „Alltag“ für visuelle und strategische Kommunikation
1997 Gründung des Labels „Com&Com“; Arbeiten auf den Gebieten Film, Video, Musik, Theater, Performances und Public Art sowie kreativwirtschaftliche Dienstleistungen, wissenschaftliche Forschung, kuratorische Projekte und Publikationen; Einzelausstellungen u. a. 2010 CentrePasquArt, Biel, 2003 Kunst-Werke, Berlin; 2000 Kunsthaus Zürich; zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen weltweit
Eine Ausstellung mit freundlicher Unterstützung durch Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung
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